Zuvor hatte sich die Regierung die Unterstützung der Fußballfunktionäre für ihr Projekt längst gesichert. Wolfgang Niersbach sagt dazu: „Der Fußball muss sich an die Seite der Politik stellen, wenn es um Grundwerte im menschlichen Miteinander geht.“ Seit mehreren Wochen steht der DFB in engem Kontakt mit dem Auswärtigen Amt und dem Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Markus Löning.
Es
ist ein eingespieltes Ritual. Immer wenn die Spieler der deutschen
Fußballnationalmannschaft auf eine Partie eingestimmt werden, dann
bekommen sie nicht nur eine Unterrichtsstunde in Taktik, sondern auch
landeskundliche Infos. Philipp Lahm und Kollegen lernen dann, dass
Spanier stolz, aber fair, oder Argentinier heißblütig und fies sein
können. Vor der Europameisterschaft, die im Juni beginnt, bekommen sie
nun Unterricht in Sachen Ukraine, wo sie alle drei Vorrundenspiele
bestreiten werden.
„Das gehört zu einer professionellen
Vorbereitung dazu“, sagt DFB-Präsident Wolfgang Niersbach. Die Spieler
sollen wissen, wo der Deutsche Fußball-Bund in der Frage der
Menschenrechte im EM-Gastgeberland Ukraine steht. Die Haltung des
Verbandes hat Niersbach deutlich zum Ausdruck gebracht: „Der DFB steht
ein für die Einhaltung der Menschenrechte, die Unabhängigkeit der Justiz
und die Meinungs- und Pressefreiheit.“
Über diese Haltung haben sich nicht wenige
gewundert. Wie kann es sein, dass die deutsche Fußballprominenz
plötzlich zu Menschenrechtsaktivisten wird? Hans-Joachim Watzke,
Geschäftsführer des deutschen Fußballmeisters Borussia Dortmund, hat mit
seiner Ankündigung, EM-Spiele in der Ukraine zu boykottieren, eine
wahre Lawine losgetreten. Man könne die zahlreichen Interviewanfragen
nicht mehr bearbeiten. Derweil fordert Uli Hoeneß, Boss des FC Bayern,
Michel Platini, den Präsidenten der Europäischen Fußball-Union Uefa, im Spiegel dazu auf, die Ukraine deutlich zu kritisieren. Auch die Spieler sollten ruhig das Wort ergreifen.
Undenkbar wäre so etwas vor vier Jahren
gewesen, als der Deutsche Olympische Sportbund vor den Olympischen
Spielen in Peking seinen Athleten regelrecht verboten hatte, sich
während der Spiele kritisch zum KP-Regime in Peking und der Tibetfrage
zu äußern. Deutsche Politiker, von Rot über Grün bis zu Gelb und
Schwarz, hatten keine Probleme, in den Stadien und Hallen in Peking gute
Miene zu den Spielen zu machen.
Doch die Lage in diesen Tagen ist eine gänzlich andere. Die
Bundesregierung will die Ukraine unter Druck setzen und erwirken, dass
die inhaftierte ehemalige Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, die
sich im Hungerstreik befindet, zur notwendigen ärztlichen Betreuung in
die Bundesrepublik überstellt wird. Wie der Spiegel berichtet,
wolle Bundeskanzlerin Angela Merkel den Spielen der deutschen
Nationalmannschaft in der Ukraine wohl fernbleiben, falls Timoschenko
bis zur EM nicht freigelassen werde. Das Kanzleramt bestätigte dies am
Sonntag indirekt.
Merkels Sprecher Steffen Seibert hatte
einen möglichen Boykott der Regierungsmannschaft bereits am Freitag
angedeutet. Eine Ausnahme könnte für Innen- und Sportminister Hans-Peter
Friedrich (CSU) gelten. „Der Minister ist eben Sportminister und großer
Fan der deutschen Nationalmannschaft“, erläuterte sein Sprecher am
Freitag.
Thomas Bach, dem Präsidenten des
Deutschen Olympischen Sportbundes, scheint das Engagement des DFB nicht
ganz geheuer zu sein. Zwar würdigt er die Rolle der Fußballer im Fall
Timoschenko, er sagt aber auch: „Der Sport darf nicht zum Knüppel der
Politik werden.“ Für ihn muss der Sport neutral sein, wenn er „in
politischen und Menschenrechtsfragen nachhaltig positiv wirken will“.
So sehen es auch die Veranstalter von der Uefa. Aus der
DFB-Zentrale in Frankfurt heißt es, der Verband bemühe sich, Michel
Platini zu einer kritischen Haltung der Ukraine gegenüber zu bewegen.
Vergeblich. Auf Anfrage der taz schickte die Uefa ihre wohlbekannte
Stellungnahme zum Thema: „Die Nichteinmischung in politische
Angelegenheiten einerseits und der Schutz der Nationalverbände vor
jeglicher politischer Einmischung andererseits ist eine zwingende
Voraussetzung, um einen reibungslosen Ablauf von Wettbewerben zu
gewährleisten und dafür zu sorgen, dass der Fußball jedermann zugänglich
ist und überall gespielt werden kann.“
Basta! Kein Wort zur Situation in der
Ukraine, die jetzt sogar Russlands Nochpräsident Dmitri Medwedjew
kritisiert, indem er den Umgang mit Oppositionsführerin Timoschenko als
„völlig inakzeptabel“ bezeichnet hat.
Menschenfreunde unter sich. Dass der
Verband über sein Ukraine-Engagement nicht zu einer
Menschenrechtsorganisation geworden ist, wurde indes am Freitag
deutlich. Der DFB verkündete, sich nicht für die Austragung der
Fußball-EM 2020 zu bewerben. Die Türkei bleibt damit einziger Bewerber.
Die Gelegenheit, das Land für seine massiven Menschenrechtsverletzungen
zu kritisieren, ließ der DFB ungenutzt.
Und die Vergabe der WM 2022 nach Katar wird
vom DFB zwar kritisiert, dabei geht es aber allein um die klimatischen
Bedingungen und keineswegs um die Grundrechte, um die es im Emirat nicht
gerade gut bestellt ist. Wenn sich der Sport nicht von der Politik
instrumentalisieren lässt, verhält er sich so unpolitisch wie eh.
„Der Minister ist eben Sportminister und großer Fan der deutschen Nationalmannschaft“ ist vielleicht noch die ehrlichste Reaktion der Genannten. Der Rest ist ein Feuerwerk aus politischer Beliebigkeit.
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