Freitag, 25. Mai 2012

Es geht um mehr als Fußball


Fangewalt - warum Sicherheitpolitiker brennende Stadien brauchen

Edmund Stoiber, Ex-Ministerpräsident, Ex-Kanzlerkandidat, Ex-EU-Kritiker, überhaupt ganz Ex und irgendwie FC Bayern, fordert, die Fans einzuzäunen. Davor hatte Dagmar Freitag, die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Leichtathletikverbandes und Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag die Abschaffung von Stehplätzen angeregt. Und nun kommt der oberste Staatsanwalt der Republik und fordert Fußfesseln für Fans. Harald Ranges Satz „Notorische Hooligans, die als Rowdys bekannt sind, könnten eine elektronische Fußfessel bekommen“ hat es in beinahe jedes Nachrichtenmedium geschafft. Range, Stoiber, Freitag - was verstehen die eigentlich vom Fandasein? Das mag sich mancher fragen. Egal - darum geht es schon lange nicht mehr. Es geht um Politik. Der Fußball könnte einmal mehr zum Vorreiter für eine repressive Sicherheitspolitik werden. Die deutschen Landesinnenminister wissen, dass in Deutschlands Stadien keine bürgerkriegsähnlichen Zustände herrschen. Sie benutzen das Thema Fußballgewalt, um ihre sicherheitspolitischen Fantasien durchzusetzen.

Es wäre nicht das erste Mal, dass ihnen dies gelingt. 1994 wurde begonnen Daten von auffälligen Fußballfans zu sammeln. Die Datei Gewalttäter Sport genoss ein hohes gesellschaftliches Ansehen, das in den Tagen nach den mörderischen Attacken auf den französischen Polizisten Daniel Nivel während der WM 1999 in Frankreich noch weiter stieg. Gut so, das war Mehrheitsmeinung in Deutschland, dass endlich rigoros gegen Hooliganismus eingeschritten wird. Dass das Datensammeln gar nicht legal war, scherte kaum jemanden. Noch immer fehlt eine echte Rechtsgrundlage für die Sammelei von Bürgerdaten. Ein Problem sehen die Behörden da nicht - denn sie wähnen die Politik und beim Thema Fußballgewalt auch die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Dass viele der über 13.000 Namen, die derzeit in der Datei erfasst sind, da nicht hingehören, auch das schert niemanden. Wenn es der Sicherheit dient, dann wird schon kein Proteststurm aufkommen, wenn einer das Land nicht verlassen darf, weil sein Name irgendwie in die Datei gelangt ist. Die Politik hat es seinerzeit geschafft, im Kampf gegen Hooligans neue Sicherheitsmaßtäbe zu etablieren.

Die sind längst in anderen Bereichen angekommen. Als sich im Juli 2001 deutsche Aktivistinnen und Aktivisten auf den Weg machten, um in Genua anlässlich des G7/G8-Gipfels zu demonstrieren, wunderten sich nicht wenige von ihnen, dass sie an der Grenze aufgehalten wurden. Für die Behörden, die längst ihre Daten gesammelt hatten, waren sie Polit-Hooligans. Es wurde klar, warum der Bevölkerung die Bekämpfung der so genannten Fangewalt als derart großer Erfolg verkauft wurde. Es ging um die Verhinderung von Protest in einem ganz anderen Bereich.

Ein ähnlicher Prozess scheint in Moment abzulaufen. Wie hart der Staat gegen Systemkritiker vorgeht, war gerade in Frankfurt zu beobachten, als Demonstranten und verhinderte Blockierer behandelt wurden wie Terroristen. Dass ihm die Möglichkeiten zur Bekämpfung politischer Gegner nicht ausreichen, das zeigt die Äußerung von Generalbundesanwalt Range. Es geht nicht um den Fußball allein. Es geht um die Durchsetzung staatlicher Gewalt im Allgemeinen.

Wenn dereinst dem ersten Fußballfan eine Fußfessel angelegt wird, werden in den Medien Archivbilder von rauchenden Stadien zu sehen sein. Gottlob, dass das jetzt verhindert wird, mag sich dann manch braver Bürger denken.

Wenn dereinst den ersten politischen Aktivisten Fußfesseln angelegt werden, wird man sehen, um was es den beim Thema Fangewalt so lauthals zeternden Innenministern wirklich gegangen ist.

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