Dienstag, 16. Oktober 2012

Fußball und Rechststaat


"Fußball – Macht – Politik. Interdisziplinäres Symposium zu Fußball und Gesellschaft" - so hieß die Veranstaltung, bei der ich am Samstag in Bonn gesprochen habe. Der Ausflug in die Wissenschaft hat sich für mich auch als Zuhörer gelohnt. Vielen Dank dafür der Abteilung für Altamerikanistik und Ethnologie an der Uni Bonn und der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW. Vor allem der Vortrag von Oliver Fürtjes, Sportsoziologe an der Deutschen Sporthochschule Köln, hat mir gefallen. Er hat den Mythos von Fußball als Proletariersport regelrecht zertrümmert und nachgewiesen, dass die Begeisterung für das Spiel schon seit den 50er Jahren ein "schichtenübergreifendes Phänomen" ist.


Ich hatte über den DFB zu sprechen und seine immer stärker werdende Rolle als Staat im deutschen Staat, dem immer mehr Privilegien zugestanden werden. Was die Politik von ihrer Anbiederung an den Fußball hat, das habe ich wie folgt dargestellt (das irrwitzige Sicherheitskonzept der DFL kommt darin auch vor):

Der Fußball als Experimentierfeld der Sicherheitspolitik

Die Popularität des Lieblingssports der Deutschen hat sich schon oft als hilfreich erwiesen, wenn es darum ging, den rechtsstaatliche Standards
nach unten zu korrigieren. 2001 wunderten sich nicht wenige politische Aktivisten, als sie kurz vor dem G8-Gipfel in Genua Besuch von der Polizei bekamen, die ihnen eine Art Hausarrest aufbrummte. Andere wurden auf dem Weg zur Protestaktionen bei Grenzkontrollen als potenzielle Gewalttäter identifiziert und zurück in ihre Wohnorte geschickt. Verbrochen hatten sie nichts. Ihr Name war in eine mehr oder weniger willkürlich geführte Datensammlung geraten, wo sie als linke Gewalttäter geführt wurden. Vorbild für diese Datensammlung war die Datei „Gewalttäter Sport“, die seit 1994 geführt wird. Zunächst ohne jede Rechtsgrundlage. Nicht nur Datenschützer, mehrere gerichtliche Instanzen haben die rechtliche Unzulässigkeit dieser Datensammlungen festgestellt. Doch die Behörden katalogisierten die vermeintlich gewaltbereiten Fans weiter. Der Kampf gegen die Gewalttaten von Hooligans war spätestens, seit deutsche Fußballfans 1998 den französischen Polizisten Daniel Nivel beinahe zu Tode geprügelt haben, in der breiten Öffentlichkeit äußerst populär. Die Datensammlung wurde deshalb nie in Frage gestellt, auch wenn sich dort als Gewalttäter auch findet, wer einmal einen Aufkleber auf die Kacheln einer Stadiontoilette geklebt hat, und dabei von Ordnern erwischt wurde. Zum vermeintlichen Wohl des Fußballs wurden Bürgerrechte eingeschränkt.
Nachhaltig – wie sich 2001 vor dem G8-Gipfel in Genua zeigen sollte.

Kein Einzelfall. 2007 wunderten sich Aktivisten im Protestcamp anlässlich des G8-Gipfels von Heiligendamm über Bundeswehrjets, die über ihr zeitweiliges Domizil gebrettert waren. Ist der Einsatz der Bundeswehr im Inneren nicht verboten, mögen sie sich gefragt haben. Im Rahmen des G-8-Gipfels in Heiligendamm 2007 setzte die Bundeswehr mindestens ein Dutzend Kampfjets zur Aufklärung ein. Darüber hinaus kamen Spähpanzer vom Typ „Fennek“ zum Einsatz, um Straßen sowie die Anflugrouten der Gipfelteilnehmer zu beobachten. Zur Überwachung des Luftraums wurden drei Nato-Aufklärungsflugzeuge vom Typ Awacs eingesetzt. In Bad Doberan
errichtete die Bundeswehr zusätzlich ein mobiles Sanitätsrettungszentrum, das von mehreren Feldjägern gesichert wurde. Eigentlich ist der Einsatz der Bundeswehr im Innern laut Grundgesetz nur dann gestattet, wenn der Bundestag einen Verteidigungsfall festgestellt hat, es sei denn er dient „zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes“. Wolfgang Schäuble, seinerzeit Innenminister und Verteidigungsminister Franz-Josef Jung wussten diesen Satz schon ein Jahr zuvor zugunsten ihrer Sicherheitsphantasien zu interpretieren. An der Sicherung der Fußball-WM 2006 nahmen 2.000 Bundeswehrsoldaten aktiv teil. 5.000 weitere waren ständig in Breitschaft. Deutschlands größte Nationalparty öffnete der Bundeswehr die Tür zum Einsatz im Inland. Die Regierung hatte sich einmal mehr die Popularität des Fußballs zu Nutze gemacht, um neue Sicherheitsstandards zu etablieren.

In diesen Tagen wird immer wieder intensiv über die Gewalt in deutschen Fußballstadien diskutiert. Innenpolitiker und Fußballfunktionäre ringen um neue Wege zum sicheren Stadionbesuch. Gerade hat der Verband der in der ersten und zweiten Liga vertretenen Profiklubs ein Sicherheitskonzept vorgestellt. Darin ist von Containern die Rede, in denen Fans einer Genzkörperkonztrolle unterzogen werden sollen. Damit soll wohl verhindert werden, dass Zuschauer pyrotechnische Erzeugnisse wie bengalische Fackeln oder Sylvesterraketen - in ihrem Genitalbreich versteckt - ins Stadion schmuggeln. Rechtspolitiker müssten eigentlich aufschreien, denn für derartige Nacktuntersuchungen ist eigentlich ein richterlicher Beschluss von Nöten. In der Strafprozessordnung heißt es: „Bei Gefahr im Verzug kann die Untersuchung auch auf Grund einer Anordnung der Staatsanwaltschaft durchgeführt werden, doch hat die Staatsanwaltschaft in diesem Fall unverzüglich die gerichtliche Bewilligung einzuholen. Wird diese nicht erteilt, so hat die Staatsanwaltschaft die Anordnung sofort zu widerrufen und das Ergebnis der körperlichen Untersuchung vernichten zu lassen. Jede körperliche Untersuchung ist von einem Arzt vorzunehmen.“ Vor nicht allzu langer Zeit diskutierte beinahe das ganze Land über die Einführung von Ganzkörperscannern bei der Sicherheitskontrolle an Flughäfen. Angesichtes der Pläne der DFL eine beinahe schon niedliche Diskussion.

Der Fußball ist einmal mehr dabei, rechtsstaatliche Standards auszuhebeln. Die Sicherheitsapologeten in den Innenminsterien von Bund und Ländern können sich bedanken

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