Aus Fans, die auf den billigen Plätzen stehen, werden Verbrecher gemacht. Doch die Gefahr lauert in den Stadien anderswo: nämlich auf den gemütlichen Sitzen
Es ist noch kein Jahr her, da tobte in Deutschland eine
Sitzplatzdiskussion. Es ging um den Präsidentenstuhl. Sepp Blatter, der
Chef des Internationalen Fußballverbandes, hatte sich angeblich darüber
beschwert, dass der für ihn vorgesehene Stuhl im Frankfurter
Frauen-WM-Stadion nicht genau in der Verlängerung der Mittellinie
angebracht worden war. Es waren schwere Zeiten für den Fifa-Boss. Der
Kongress seines Verbandes kurz vor der Frauen-WM hatte einmal mehr
verdeutlicht, dass die Fifa eine Art Verbrecherorganisation ist. Und dann die Stuhldiskussion. Häme wurde ausgeschüttet über
den Fifa-Boss, der das mit dem Stuhl bald schon dementieren ließ. Er
hatte dann einen guten Sitzplatz unweit des damaligen Bundespräsidenten
Christian Wulff.
Derzeit tobt in Deutschland eine Stehplatzdiskussion.
Sicherheitspolitiker, allen voran Bundesinnenminister Hans-Peter
Friedrich, fordern die Abschaffung der Stehplätze. Von ihnen gehe zu
große Gefahr aus für Leib und Leben von Fans, Spielern,
Sicherheitspersonal und Polizei. In der Tat wird nicht selten gezündelt
auf den Tribünen. Viele Fans, die sich der Ultrabewegung zugehörig
fühlen, wollen nicht verstehen, dass es nicht erlaubt sein soll, Stadien
mit bunten Rauchwolken in stimmungsvolle Arenen zu verwandeln. Doch die
Bilder von brennenden Kurven erzeugen längst eine ganz andere Wirkung.
Sie stehen nicht für die Freude am Fußball, sie stehen für Gewalt. Aus
Fans, die bengalische Fackeln hochhalten, sind in der Wahrnehmung vor
allem der Sicherheitspolitiker längst Verbrecher geworden. Die Fans, die
zündeln, stehen auf den billigen Plätzen der Stadien. Die Abschaffung
der Stehplätze wird da schnell als Allheilmittel in der
Verbrechensbekämpfung gesehen. Aber stimmt eigentlich, was da verkündet
wird? Oder sind die wahren Verbrecher nicht eher auf den Sitzplätzen zu
finden?
Sepp Blatter, der Boss dieser schrecklich korrupten
Fußballfamilie, ist im Kreise der sitzenden Verbrecher eine kleine
Nummer. Die ukrainischen Staatslenker, die ihre politischen Gegner
wegsperren und Tausende Menschen auf den Polizeiwachen des Landes
foltern lassen, sind da schon ganz andere Kaliber. In einer gewöhnlichen
Stehplatzkurve eines Bundesligastadions ist gewiss weniger
verbrecherische Energie versammelt als auf den Ehrentribünen der
EM-Spiele in der Ukraine.
Unvergessen sind auch die Bilder von dem argentinischen
Diktator Jorge Rafael Videla, der sich sitzend die Spiele der Fußball-WM
1978 ansah, während in den Folterkellern des Landes unzählige Menschen
verschwunden waren. Die knapp 25.000 Menschen, die sich alle zwei Wochen
auf die riesige Südtribüne im Dortmunder Westfalenstadion stellen, sind
gewiss weniger angsteinflößend, als es die argentinische Folterdiktatur
war. Nein, die wahren Verbrecher sitzen auf den teuren Plätzen.
Warum fordert eigentlich niemand ein Sitzplatzverbot?